Jede Reise hat zwei Höhepunkte:

den einen, wenn man hinausfährt, erlebnishungrig und voller Erwartung -

und den anderen, wenn man heimkehrt, gesättigt von den Eindrücken und in Vorfreude auf das eigene Zuhause.

(Heinrich Spoerl)

8. Januar 2013

Einmal quer durch Westghats!


Wir stehen in Puducherri, der ganze Weihnachts-Kirchen-Dingsbums-Eindruck verfliegt in Sekunden, als wir auf den Bus warten.
Zu unseren Fuessen rennen Kakerlaken um die Wette, Moskitos beschraenken sich auf den restlichen Koerper, und einige Meter neben uns durchwuehlt eine Ratte den Muell. Um uns ist einer der Gerueche Indiens, aus dem man sonst versucht schnellst moeglich zu entkommen. 25Minuten ist unser Bus mittlerweile zu spaet, etwas, was uns noch nie in Indien passiert ist, und uns schon fast gewundert hat.

Aber da kommt er endlich...der Bus, der uns nach Kodaikanal bringen soll. Ein Nachtbus mit extra breiten Sitzen. Ein Traum gaebe es die Schlagloecher nicht. Aber trotzdem kommen wir einigermassen erholt in den Westghats an. Als wir nach einer Pinkelpause versuchen wach zu werden beginnt der Bus sich an der kurvenreichen Strasse in die Westghats hochzuarbeiten. Wir hoffen auf gute Bremsen und einen guten Magen, und spueren die Luft immer kaelter werden.

Nach circa 1,5 Stunden kommen wir in Kodaikanal an, eine Stadt, die auf 2256 Metern liegt. Die Suche nach einem Schlafplatz geht diesmal schnell, und noch dazu koennen wir von unserem Bett aus auf ein Panorama schauen, das atemberaubend ist. Aber so geht es nicht weiter,...es zieht Nebel auf, und der bleibt fuer 2 Tage und dieser durchdringt nicht nur den Stein unserer Huette sondern laesst sogar unsere sehr genialen Schlafsaecke etwas zu duenn  wirken. Aber sowas uebersteht man, indem man seine Moeglichkeiten kennt.

Was wir bis dahin noch nicht wussten, ist wie sehr uns Indien mit seiner Buerokratie auf den Senkel gehen wird. Schon am ersten Tag eilten wir zum Forstbuero um die Erlaubnis fuer die Strasse nach Munnar zu bekommen. Dies ist eine alte Evakuierungsstrasse die von den Englaendern gebaut wurde und mittlerweile fuer den Verkehr geschlossen ist. Im Internet gibt es eine Wanderroute, die eine sechstaegige Wanderung mit saemtlichen Flusskreuzungen und Schutzhuetten fuer unser GPS detaliert beschreibt.

Jetzt fehlt nur noch dieses Stueck Papier und es koennte los gehen. Aber -so schnell geht das in Indien natuerlich nicht. Zuerst ist das Buero vor Ort nicht mehr zustaendig,und wir sollen zurueck nach Chennai. Dies koennen wir dann mit einem Telefonat und einem Fax klaeren. Da es Freitag ist, ist die zustaendige Person nicht mehr vor Ort. Wir sollen am Montag anrufen. Als wir dies tun, haengt die zustaendige Person erst mehrmals auf und blockiert dann unsere Nummer. Auskuenfte bekommen wir keine. Wir wissen nicht, ob es zu gefaehrlich ist (Elefanten, Pamther und Bisons kreuzen manchmal die Strasse) oder woran es scheitert.

Als wir dies im Buero erfragen wollen, bekommen wir die Auskunft morgen wieder zu kommen, da die Foerster unterwegs sein und heute nicht mehr zurueckkommen. Zum Glueck wissen wir diesmal selbst, dass Feiertag ist, und so beratschlagen wir vor dem Buero, was wir jetzt am Besten machen. Keine 5 Minuten spaeter kommen alle Foerster des Bueros zurueck, aber reden mag mit uns keiner. Also kapitulieren wir. Innerlich tun wir das vor so einigen Dingen Indiens.

Wir kapitulieren vor Buerokratismus in seiner hoechsten Inkarnationsstufe. Wir kapitulieren vor den schoenen Plaetzen, die man ohne Permit nicht erreichen kann. Wir kapitulieren vor dem Muell, der wirklich ueberall ist. Wir kapitulieren vor der Flut an Information ohne einen Inhalt. Wir kapitulieren vor Konversationen die sich auf Name, Land und Beruf begrenzen. Wir kapitulieren vor Streichoelzern die nicht brennen, vor Teebeutel die man nicht kaufen kann, dass alles possible ist, aber halt nur sometimes, dass die indische Post die Seefracht fuer das ganze Land eingestellt hat, dem Plastikstuhlflair, das ueberall anzutreffen, aber nirgends schoen ist. Wir kapitulieren!!!

Und trotzdem wollen wir dem Land eine Chance geben. Denn es gibt auch Dinge, die einem zeigen, dass man am richtigen Ort ist. Wir lieben das Essen, das in den billigsten und schaebigsten Buden am besten schmeckt. Wir lieben das Laecheln, vorallem wenn man Muehe hat die Luecken zwischen den Zaehnen zu zaehlen, weil man noch mit dem Laecheln der Augen beschaeftigt ist. Und wir lieben es, dass Autos hier beim Rueckwaertsfahren eine Melodie von sich geben (vorallem aus Sicherheitsgruenden, da man hier lieber langsam zufaehrt bevor man auch nur seinen Kopf ein bisschen drehen wuerde!).

Und so beschliessen wir, es fuer das Jahr 2012 gut sein zu lassen, und eine Xerox-Shop-Weisheit fuer uns umzusetzen: "Dinge werden nicht besser, wenn man sich darueber aufregt!"

Wir lassen das Jahr mit anderen Touristen ausklingen. Die Permission, die wir fuer das Lagerfeuer gebraucht haetten, bekommen wir natuerlich auch nicht, aber seinen Plastikmuell an allen Strassenecken zu verbrennen ist natuerlich weitaus ungefaehrlicher...wir sind ja nicht bloed und wuerden uns ueber sowas aufregen. Egal, es werden Kerzen und Bier gekauft und wir feiern ueber einem endlich wieder aus dem Nebel aufgetauchtem Tal Silvester. Lichter glitzern von den umliegenden Ortschaften zu uns herauf, und zu unserm Glueck gibt es einige Singer-Songwritter unter uns.

Als wir dann noch Lovetto, ein Indier aus Bombay der in Dubai lebt, treffen, und der uns erzaehlt, dass es gar kein Problem ist zum Birijam-Lake zu wandern (die erste Station der verplanten Wanderroute), fangen vorallem Jochens Augen wieder an zu leuchten. Lovetto erzaehlt wie er dort campiert hat und am naechsten Morgen Rehe, Bisons und Elefanten um den See standen, er erzaehlt von Panthern die man dort sehen kann, und er erzaehlt so, dass wir aufhoeren zu kapitulieren. Von diesem Uebermut entflammt beginnen wir sogar mit 12 Tamilien das Tanzen...und wie wir nun ungefaehr wissen was traditioneller tamilischer Tanz bedeutet, ist ihnen nun der Walzer und das Schuhplatteln ein Begriff. 

Zwei Tage spaeter...wir treffen uns mit Lovetto vor dem Forstbuero um die Erlaubnis fuer den See zu bekommen...und nachdem man uns einen Guide aufgelatzt hatte, die Uebernachtung dort erst verboten  und dann den Preis vervierfacht hat(ein Tiger koennte uns fur den normalen Preis fressen), wird uns bewusst, dass es vielleicht nicht umbedingt gefaehrlich ist, sondern es ehr darum geht Geld aus uns zu machen. Kapitulieren wir? Naja...wir entscheiden uns fuer eine Tagestrekkingtour mit unserer hart erkaempften Erlaubnis...und glaubt uns...wir haetten es lassen sollen.

Mit uns fahren ungefaehr 50 andere Fahrzeuge hinter die Schranke der "Eco-Friendly-Area", darunter befinden sich 2 Busse mit ungefaehr 40 Leuten. Wir halten an jedem erdenklichen Aussichtpunkt und alle schiessen wild mit ihren Kameras um sich. Das mitbringen von Plastik ist untersagt...gut, dass dann jemand, direkt am mit Maschendrahtzaun umsaeumten See, moeglichst viele Produkte mit Plastikverpackung verkauft, die dann auch gleich in die Umwelt geschmissen wird. Wir finden unsere Wanderroute aus dem Internet auf ein riesiges Plakat gedruckt und beginnen auf der Strasse zu laufen. Diese ist perfekt in Schuss und lediglich ein kleines Schild verbietet das Betreten.

Das wildeste Tier, dass wir sehen ist eine uebergrosse Kellerassel. Moment, dass war das einzige Tier dort. Wir haben die Nase voll, es ist uns egal...wir wollen keinen Guide mehr (fuer was auch!) wir wollen keine Erlaubnis mehr (bekommen wir ja eh nicht)wir wollen einfach einen Tag lang laufen. Und dass tun wir dann auch. 

Wir packen unseren 12/13kg Rucksack, kaufen uns eine Avocado am Strassenrand, machen schoen Fruehstueck an Dolphins Nose (super Aussichtspunkt und um die Uhrzeit fuer uns allein!) und beginnen dann mit dem Abstieg. Wir wollen nach Peryikulam, und als wir einen Einheimischen, der uns leichten Schrittes entgegen kommt, nach dem Weg fragen, sagt dieser, dass wir nur dem Pfad folgen muessen, in 1,5Stunden ein kleines Dorf kreuzen und dann nochmal 2 Stunden zum Wasserfall braeuchten - von dort sollten wir den Bus nehmen. Super...das hoert sich doch einfach an!
Und ganze SIEBEN Stunden, 1850 Hoehenmeter und etwa 18km spaeter, stehen wir an den Wasserfaellen. Wir spueren unsere Beine kaum noch, aber wir sind gluecklich. O-Ton Jochen: " Endlich ist es mal so, dass wir ehr nicht mehr koennen, als dass wir nicht mehr wollen!"..." Wir werden diesen Muskelkater sowas von geniessen!"

Wir sind gelaufen. Wir haben unzaehlige Schmetterling, Gruentoene und Steine und einige Kakaobohnen und Pilger auf dem Weg gesehen. Wir wurden ein paar mal von einem Rascheln im Gebuesch erschrocken, aber mehr als ein Affe kam nie daraus hervor. Und - wir haben groessten Respekt vor den Mensche, die diese Strecke in 3,5Stunden laufen und dabei noch einen 50kg Sack Zitronen auf dem Kopf tragen, oder ein Pferd die steinige Piste nach unten fuehren. 

Indien, wir sind versoehnt. Am Wasserfall werden wir von indischen Touristen trotz alller Schweissflecken fuer eine Fotostrecke verwendet, und haben dadurch jemanden der uns den Weg zum Bus zeigt und eine Unterkunft organisiert. Diese kostet 7 Euro und ist keine 2 Euro wert. Aber das ist uns nach diesem Tag sowas von egal. 

Am naechsten Morgen erwachen wir von Schmerzen geplagt...was fuer ein Muskelkater! Zum Glueck laufen wir nicht noch einen zweiten Tag. Stattdesen nehmen wir den Bus nach Munnar. Die Lautsprecher werden voll ausgenutzt und wir fahren durch wunderschoene Landschaft die sich zusehens veraendert. Immermehr Teeplantagen saeumen die Berge soweit das Auge reicht. Der Platz am Fenster ist trotzdem mit Nervenkitzel verbunden, da sich der Bus mal wieder serbentinenartigen nach oben arbeitet , keinen halben Meter zum Abgrund, und man teilweise nur hofft, dass man auf der einspurigen Fahrbahn keinen Gegenverkehr hat. 

Und hier sind wir gerade...in Munnar. Ausser kurze Spaziergaenge in den Teeplantagen konnten wir aber nichts machen, da der Muskelkater uns nun schon seit 3 Tagen laehmt. Heute wollten wir zur Chinnar Wildlife Sanctuary, dort schlaeft man in Baumhaeusern und es gibt jede Menge Tier, die man dort sehen kann. Und mal wieder mussten wir zum Forest Informations Center. Und diesmal?!?!?! Diesmal gibt es hier einen woechentlichen Streik, ab Montag gibt es wieder Auskunft. Sehr schoen! Wir fahren trotzdem hin, und schauen was moeglich ist. Wir werden Euch davon erzaehlen. Der Bus faehrt so in einer Stunde, bis dahin essen wir noch ein paar in Zeitungspapier gewickelte Samosas. 

Eure Julia und euer Jochen.


Genau die richtigen Schuhe fuer so eine Arbeit!
Aussicht von Delphin Nose
Das groesste, wildeste und einzigste Tier am Berijam Lake!
Aussicht aus unserer Huette in Kodaikanal!
Ein Bisson, das sich auch ab und zu gern in der Naehe unserer Huette aufgehalten hat.

Startpunkt fuer unseren Weg ins Tal!
Diesmal traffen wir "gruene" Pilger!

Unsere Vorbilder: 50kg Zitronen in 3,5Stunden!

Der Start der Fotostrecke!

Tee-Ernte

Mal wieder eine Baustelle vor unserem Guesthouse.

Ein Blumenverkaufsstand fuer den nahegelegenen Tempel.

Eine Frau mit ziemlich vielen Teeblaettern auf dem Kopf!



Was sie traegt wissen wir nicht!
Unser Fruehstueckslokal